Kein Antisemitismus….

aber eine sehr gute Zustandsbeschreibung und eine flammende Rede gegen Krieg von Jürgen Todenhöfer, den ich von allen Politikern am meisten schätze und für sehr authentisch halte:

 

FASSUNGSLOS IN GAZA

Gaza, 15. Juli. Seit drei Tagen bin ich mit meinem Sohn Frederic in Gaza. Wir werden auch die heutige Nacht in Gaza verbringen müssen. Die Grenzen sind zu. Die Menschen hier erwarten diese Nacht besonders schwere Angriffe aus Israel.

Wir besuchten Opfer-Familien, kletterten durch ausgebombte Häuser, gingen durch überfüllte Krankenhäuser. Über uns stets das bedrohliche Surren israelischer Kampfdrohnen.

Abends sitzen wir angespannt auf dem Dach unseres Hotels und beobachten das gespenstische „Feuergefecht“ zwischen Israel und Gaza. Wir sehen das kurze Aufleuchten der Raketen der Hamas und des ‚Islamischen Jihad‘ und ihren langen weißen Rauchschweif. Kurz danach das durch Mark und Bein gehende Zischen einer israelischen Rakete, gefolgt von einer Ohren betäubenden Explosion. Die Erde bebt.

Um drei Uhr nachts wird unser Hotel so niedrig von einer israelischen Rakete überflogen, dass das Hotel in seinen Grundfesten wackelt. Wie bei einem schweren Erdbeben. Wir tasten uns schlaftrunken auf die Flure. Müssen wir aus dem Hotel raus? Die Rakete zerstört ein Wohnhaus 200 Meter von uns entfernt. Wir gehen in unsere Zimmer zurück.

Der jetzige Krieg einschließlich seiner Vorgeschichte ist eine Schande. Und er ist absurd. Wie die meisten Kriege.

DIE ERSTE SCHANDE ist die Entführung und Ermordung der jungen israelischen Siedler Eyal Yifrach, Gilad Shaar und Naftali Frenkel. Wer immer sie feige getötet hat. Ein Sprecher der Hamas dementiert mir gegenüber zornig jede Beteiligung an diesem erbärmlichen Mord. Die Hamas bekenne sich stets zu ihren Taten. Mit diesem Irrsinn habe sie nichts zu tun. Wer sagt die Wahrheit?

DIE ZWEITE SCHANDE ist die Verbrennung des jungen Palästinensers Mohammed Abu Khdeir bei lebendigem Leib. Die israelischen Täter zwangen ihn, Benzin zu trinken und zündeten ihn an.

DIE DRITTE SCHANDE besteht – nach wahllosen und brutalen Hausdurchsuchungen und Massenverhaftungen in der Westbank – in der völlig hemmungslosen Bombardierung der 1.8 Mio Ghettobewohner von Gaza. Durch israelische Kampfjets, Raketen, Hubschrauber, Schiffe und Drohnen. Ergebnis: 193 tote Palästinenser (Stand: 18 Uhr Gaza-Zeit). Frauen, Kinder. Die Beschießung ist für jeden erkennbar maßlos.

Wahrer Grund dieses massiven Bombenterrors ist nicht die weitgehend wirkungslose und dilettantische Schießerei der Hamas und des ‚Islamischen Jihad‘. Die ich ebenfalls ausdrücklich verurteile. Sie begann nach der Tötung von 6 Hamaskämpfern in Gaza und sechs palästinensischen Zivilisten in der Westbank.

Wir haben den Beschuss Israels aus Gaza hautnah miterlebt. Die Sirenen von Jerusalem heulten auf, als drei anfliegende Geschosse entdeckt wurden. Jüdische Israelis rannten kreidebleich zu ihren Hotels. Zwei Minuten später hörten wir in der Ferne drei Explosionen. Die Geschosse waren wie meist, ohne Schaden anzurichten, im Umland zerschellt.

Auch im israelischen Aschkelon erlebten wir einen Angriff aus Gaza. Ein etwa ein Meter großes Kassam-Geschoss hatte wieder einmal sein Ziel verfehlt. Verbogen lag es auf einer Straßenkreuzung. Polizei sicherte den Ort seiner Bruchlandung ab.

Abends in Jerusalem saß am Nachbartisch eines kleinen Gartenrestaurants der frühere englische Premierminister Tony Blair. Er ist angeblich noch immer „Friedensbeauftragter“ des sogenannten Nahostquartetts. Er lachte und lachte. Über die weitgehend ineffektiven Geschosse der Hamas und des ‚Islamischen Jihad‘? Oder darüber, dass Gaza in den Weltmedien als Angreifer gilt? Er hatte einen äußerst vergnüglichen Abend.

Der Gazakrieg ist ein Gefecht David gegen Goliath. Nur dass dieser David aus dem winzigen Gaza selten trifft. Und völlig chancenlos ist. Bisher gab es auf israelischer Seite eine Handvoll Verletzte und glücklicherweise noch keinen Toten. Ich beklage jeden dieser israelischen Verletzten ausdrücklich. Wie jeden palästinensischen Toten und Verletzten. Alle Menschen sind für mich gleich. Ihr Leid, ihre Schmerzen.

Aber die sinnfreie Hamas-Ballerei mit den massiven mörderischen Raketenschlägen der Israelis zu vergleichen, ist vollkommen realitätsfremd. Das zeigen schon die bisherigen Zahlen der Todesopfer: 193:0. Schlagzeilen wie „Israel unter schweren Beschuss“ stellen die Tatsachen auf den Kopf. Gaza liegt unter schwerem Beschuss!

Netanjahu will die Hamas in die Knie bomben. Vor allem nachdem sie sich mit der gemäßigten Fatah zusammengeschlossen hat und dadurch das palästinensische Lager gestärkt hat.

Netanjahu will keine starke, geeinigte Palästinenserführung. Er will schwache, nachgiebige, gedemütigte Gesprächspartner wie Mahmoud Abbas, die er am Nasenring durch die Manege führen kann. Ohne dass sie sich wehren. Denen er nie echte Zugeständnisse machen muss. Weil ein Netanjahu keine Zugeständnisse macht. Das Leiden der Palästinenser unter der Besatzung Israels hat ihn nie interessiert und wird ihn nie interessieren.

Netanjahu will keinen Frieden mit den Palästinensern. Jeder führende US-Politiker von Obama bis Kerry würde das resigniert bestätigen. Netanjahu will vor allem kein freies, unabhängiges Palästina.

Aber will Hamas Frieden? Auch diese Frage muss man sich ernsthaft stellen. Vor allem wenn man an die alte Charta der Hamas denkt. Aber war das überraschende Bündnis mit Fatah nicht gerade ein Signal, dass Hamas bereit war, wenigstens teilweise auf den nachgiebigeren, versöhnlicheren Kurs der Fatah einzuschwenken. Warum hat Netanjahu dieses Bündnis so kompromisslos bekämpft?

Die Politik der israelischen Regierung gegenüber den Palästinensern ist nicht erst seit der jetzigen Bombardierung Gazas maßlos. Das ist nicht nur meine persönliche Meinung. Das sind israelische Fakten:

Nach Angaben der israelischen Menschenrechtsorganisation B’tselem, mit der wir am Wochenende telefonierten, wurden seit Beginn der 2. Intifada am 29. September 2000 bis heute 1.110 Israelis getötet. Im selben Zeitraum töteten die Israelis über 7.000 Palästinenser. Darunter über 1.500 Kinder.

7.000: 1.110. Das soll Selbstverteidigung sein?

Lange saß ich gestern am blutverschmierten Krankenbett des einjährigen Ismael. Er wurde von einer israelischen Rakete am Hinterkopf schwer verletzt. Wird er überleben?

Anschließend war ich am Krankenbett der 6 Jahre alten Shaymaá. Sie wurde an Bauch, Rücken und Leber verwundet. Ihre Mutter und zwei ihrer Brüder wurden getötet. Doch das weiß sie noch nicht.

Und wir standen erschüttert vor dem Krankenbett der 9jährigen Maria. Ein israelischer Raketensplitter steckt noch in ihrem Kopf. Sie hat durch das, was sie erlebt hat, die Sprache verloren.

Wenn ich über Gaza nachdenke, blutet mir das Herz. Die Welt aber nimmt fast alles widerspruchslos hin. Sie lässt zu, dass die Wahrheit über diesen Krieg in fast grotesker Weise auf den Kopf gestellt wird. Auch das ist eine Schande.

Fassungslos aus Gaza! Euer JT

PS: Das Endspiel um die Fußballweltmeisterschaft haben wir zusammen mit palästinensischen Familien in Gaza verfolgt. Aus Sicherheitsgründen gingen wir nicht in eines der vielen Strandcafés. Dort wurden kurz vor Beginn des Spiels Argentinien gegen Holland 9 junge Palästinenser durch eine israelische Rakete getötet.15 wurden verletzt. Wenn das keine maßlose Kriegsführung ist!

12 Kommentare (+deinen hinzufügen?)

  1. kowkla123
    Jul 26, 2014 @ 12:49:43

    unglaublich, trotzdem, schönen Samstag, Klaus

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  2. desweges
    Jul 27, 2014 @ 09:52:11

    Den Artikel, hatte ich schon mal gelesen. Das ist so schlimm und man (wir) können nichts tun.

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  3. kowkla123
    Jul 27, 2014 @ 11:46:21

    Für dich , schönen Sonntag, Klaus

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  4. Lutz
    Jul 27, 2014 @ 20:45:38

    Über die Politik Israels kann Mann streiten. Die Ansiedlungspolitik im Gaza ist mit Sicherheit nicht richtig. Nur sollte Herr Todenhöfer beide Seiten beschreiben. Für mich ist der Bericht zu Einseitig. Aber das ist man von ihm ja gewöhnt. Für mich ist die Hamas genauso so schlimm. Gerade heute haben sie wieder den Waffenstillstand gebrochen. Krieg ist immer schlimm . Egal wer der Schuldige ist. Dir noch einen schönen Abend, l.G.

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    • ilanah777
      Jul 28, 2014 @ 13:28:11

      Das was er schreibt, das ist NUR eine Bestandsaufnahme, keine Wertung, das schätze ich an ihm.
      Er hat sehr viele gute Freunde in Israel und dennoch spricht er kein Land schuldig. Er spricht den Krieg schuldig, er nennt den Krieg grausam.
      Aber beide Parteien bewertet er nicht, er beschreibt nur Fakten.
      Das gefällt gut, denn viele sind viel zu schnell dabei, zu sagen, Israel ist böse oder die Hamas ist böse.

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  5. minibares
    Jul 27, 2014 @ 22:47:25

    Wie Ludger schreibt, das ist ja einseitig.
    Immerhin bemüht er am Anfang die Ereignisse, die dazu geführt haben.
    Aber schlimm ist das Ganze natürlich.
    Allerdings kann ich verstehen, dass sie die Tunnel kaputtmachen wollen.
    Aber sie sollten sie mal sputen und nicht Krankenhäuser angreifen.
    Grauenhaft ist das Ganze natürlich, wie jeder Krieg.

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    • ilanah777
      Jul 28, 2014 @ 13:30:42

      Liebe Bärbel, ich finde es ganz und gar nicht einseitig.
      Er beschreibt und benennt nur Fakten, Zustände, er schreibt keiner Seite Schuld zu. Er bewertet weder die Hamas noch Israel, könnte er auch nicht, er hat so viele gute Freunde in Israel, leider werden ihm immer wieder Worte in den Mund gelegt, die nicht von ihm kommen.
      Wenn man den Beitrag von ihm sorgfältig liest, dann findet man nur eine Zustandsbeschreibung, mehr nicht.
      Und eine Anklage an den Krieg an sich,aber nicht an an ein Land.
      Das hebt ihn für mich ab von all den anderen Berichterstattern, die sofort Schuld zuweisen an das böse Israel oder die böse Hamas.

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  6. kowkla123
    Jul 28, 2014 @ 13:05:03

    Hallo, meine Liebe, ich wünsche eine gute Woche, Klaus

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  7. ilanah777
    Jul 28, 2014 @ 14:11:44

    Alles hat seine Zeit. Gute Gedanken dorthin zu schicken, das ist viel mehr als die meisten anderen tun.

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  8. wolke205
    Feb 16, 2015 @ 13:34:50

    Er ist der einzige, der die schonungslose Wahrheit sagt. Sowohl von der einen als auch von der anderen Seite. Ich schätze ihn sehr und verfolge regelmäßig seine Berichte.

    Liebe Grüße, Frauke

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