Im niederländischen Drama Love Life – Liebe trifft Leben sind Stijn (Barry Atsma) und Carmen (Carice van Houten) das ultimative Traumpaar: Sie sind jung, gut aussehend, erfolgreich, haben einen großen Freundeskreis und eine bezaubernde kleine Tochter Luna. In ihrer Ehe werden auch Stijns gelegendliche Seitensprünge geludet, denn Carmen ist und bleibt die Liebe seines Lebens. Die große Herausforderung für ihre Liebe beginnt, als Carmen schwer erkrankt. Stijn steht fest an ihrer Seite, in guten wie in schlechten Zeiten, wie versprochen. Ablenkung findet er aber mehr als zuvor nur in sexuellen Eskapaden. In der Folge baut eine zweite Beziehung zu Roos (Anna Drijver) auf, von der er nicht nur den nötigen Sex, sondern auch Kraft und Zuneigung bekommt, die er wiederum an Carmen weiter geben kann. Doch das Blatt hat sich gewendet: Für Carmen, die um nicht weniger als ihr Leben kämpft, wird Stijns Treue immer wichtiger…
Love Life basiert auf dem Roman Mitten ins Gesicht von Raymond van de Klundert. Mit über 1,1 Millinonen Zuschauern im eigenen Land ist Love Life der erfolgreichste Niederländische Film aller Zeiten. Auch die Kritiker würdigten Love Life und vergaben ihm vier Rembrandt Awards, darunter jenen für den besten Film.
„Love Life – Liebe trifft Leben“ ist auch die Geschichte eines Betrugs: Der Werber Stijn (Barry Atsma) betrügt seine Frau Carmen (Carice van Houten), und wohl deshalb will die Facebook-Werbeseite des Films wissen: „Was meint ihr zu dem Thema – sind es nur die Männer, die – wie Stijn – fremdgehen und sich außerhalb der Beziehung vergnügen? Oder können Frauen Affären einfach besser vertuschen?“ Zwinkersmiley.
Sie merken – zwinker, zwinker – heute laden wir Sie ein zu einem kleinen Ausflug an die Grenzen des Erträglichen. Und damit ist nicht nur die Facebook-PR für diesen Film gemeint. Denn „Love Life“ vom niederländischen Regisseur Reinout Oerlemans ist so unerträglich, dass man sich nach kurzer Zeit wünscht, er handle tatsächlich von diesen Frauenzeitschriftsproblemgeschichten, in der die Männer fremdgehen (typisch!). Und manchmal kommt dann auch raus, dass es die Frauen waren (die ihre Affären aber besser vertuschen), weil die Welt eben doch ein klitzekleines bisschen komplizierter ist.
In „Love Life“ (erzählt nach dem autobiografischen Roman „Mitten ins Gesicht“ des Schriftstellers Ray Kluun) ist die Welt jedoch noch eine ganze Ecke komplizierter, denn Carmen hat Krebs. In den Jahren vor der Krankheit nahm sie Stijns Seitensprünge hin. Stijn und Carmen bauten ein Haus außerhalb von Amsterdam und bekamen eine Tochter. Stijn traf andere Frauen im Urlaub und in den Clubs – kleine Abenteuer ohne Bedeutung, von denen Carmen ahnt und manchmal auch weiß, die aber dem Familienglück in ihrem Zuhause nicht gefährlich werden. Bis Carmen die Diagnose bekommt – Brustkrebs. Sie lässt sich die Brust amputieren und fährt zur Chemotherapie ins Krankenhaus. Sie kauft sich Perücken, nachdem sie eines Tages während eines Meetings eine Haarsträhne zwischen den Unterlagen verstecken musste.
Fremdgehen als Lebenselixier
Und plötzlich erträgt sie es nicht mehr, Stijn bei anderen Frauen zu wissen. Sie bittet ihn, treu zu bleiben – was Stijn auch versucht. Nur ist es so, dass Stijn seit der Diagnose das Fremdgehen wirklich braucht. Zum ersten Mal bedeuten ihm die Nächte etwas – sie schenken ihm die Unbekümmertheit, die ihm die Krankheit Carmens geraubt hat. Und die Lust auf das Leben, die irgendwann von der Angst vor dem Tod abgelöst worden ist. Das Fremdgehen ist jetzt kein Abenteuer mehr, sondern ein Lebenselixier in einem ganz unkitschigen Sinn. Carmen braucht Stijn und Stijn braucht die anderen Frauen. Er ist ein Hedonist auf Entzug. Je mehr Carmen zur Sterbenden wird, umso dringlicher zieht es Stijn zu den Lebenden.
Und so kommt es, dass Stijn im Bett einer Künstlerin liegt, während Carmen sich zu Hause in ihrem Bad übergibt, was schwer zu ertragen ist für Carmen, Stijn und die Künstlerin. Und – das kann man leicht ahnen – auch für den Zuschauer. Dieser Film will sein Publikum zum Weinen bringen, und das schafft er mit so viel kalkulierter Finesse, dass es nur die Gefühllosesten unter den Eisblöcken schaffen werden, ihre Tränen zurückzuhalten.
Sterbebegleitung in Hochglanzoptik
Aber nicht jeder wird „Love Life“ – in den Niederlanden ein spektakulärer Erfolg – seine Tränen gönnen wollen. Wer hätte geahnt, dass es an den Grenzen des Erträglichen nicht etwa grau und verfallen aussieht, sondern hochglänzend bunt. Der Film spielt im Umkreis einer Werbeagentur und könnte tatsächlich von eben dieser Werbeagentur produziert worden sein. In ihren letzten Wochen will Carmen noch einmal das Leben genießen – und geht teure Pumps shoppen. Die Menschen sind ausnahmslos jung und schön, die Clubs glitzern, die Gräser wogen und die Mützen, die sich Carmen über den kahlen Kopf zieht, sind so Kaschmirwolle-weich, dass man nach wenigen Minuten bereitwillig und gehirngewaschen alles kaufen würde – hätte einem nicht die Geschichte längst den Appetit verdorben.
Dieser Film schubst seine Figuren in ihre eigenen Abgründe und in die Abgründe des Lebens, wo man sie nach moralischen Maßstäben nicht mehr zu bewerten wagt. Was ist nun falsch oder richtig? Ehrenhaft oder überhaupt möglich? Zu erwarten? Zu hoffen? Der Film stellt jede Menge große und komplizierte Fragen an die Ehe und die Liebe und das Leben. Und ob nun eigentlich immer nur die Männer fremdgehen, oder ob Frauen ihre Affären nur besser vertuschen können, ist nun wirklich keine davon.
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