„Prostitution ist Seelenmord!“
So drastische und so deutliche Worte dürften in einem Bundestags-Ausschuss noch nie gefallen sein, schon gar nicht im Familienausschuss. „Die Frauen stehen teilweise 16 Stunden am Tag auf der Straße. Penetration in alle Körperöffnungen kostet 30 Euro, und wir in Stuttgart sind hochpreisig“, erklärte zum Beispiel Leni Breymaier, stellvertretende SPD-Landesvorsitzende und Verdi-Chefin in Baden-Württemberg, eingeladen in ihrer Funktion als Vorstandsmitglied von SISTERS (dem Verein für den Ausstieg aus der Prostitution). Breymaier weiter: „Die jungen Frauen erfahren erst im Vollzug, was mittlerweile in der Prostitution üblich geworden ist: den Freier ohne Kondom oral zu befriedigen, in jede Körperöffnung penetriert und gewürgt zu werden, als Toilette dienen zu müssen und ähnliches. Diese jungen Frauen berichten von ständiger Todesangst während der Prostitution.“ (mehr)
Der Schaden – physisch wie psychisch – ist nicht mehr gut zu machen
Und der Gynäkologe Wolfgang Heide bestätigte: „Beim Streetworking in den sogenannten ‚Laufhäusern‘ zeigt sich mir immer wieder ein grauenvolles Bild: Junge, sehr ängstliche Frauen, eigentlich Mädchen, die vor einem Zimmer stehen und auf Freier warten.“ Heide behandelt für die Mannheimer Beratungsstelle „Amalie“ ehrenamtlich Frauen in der Prostitution. „Ich kann nur jedem empfehlen sich anzuschauen, wie die jungen Frauen ‚gehalten‘ werden. Der gesundheitliche Schaden – physisch wie psychisch – ist immens und nicht mehr gut zu machen.“ (mehr)
Von einem „dunklen Kapitel deutscher Gesellschaftspolitik“ und einer „fehlenden Ethikdiskussion“ sprach der Psychiater und Psychotherapeut Lutz Besser vom „Zentrum für Psychotraumatologie Niedersachsen“. Bei der Prostitution handle es sich um die „organisierte und legitimierte Form von Erniedrigung, Demütigung, körperlicher und seelischer Verletzung von Frauen. Und das mit Duldung unserer politischen Volksvertreter“, sagte der Unterzeichner des Appells „TraumatherapeutInnen gegen Prostitution“. Und er fragte: „Wollen wir das als Gesellschaft weiterhin politisch legalisieren und damit dem ‚Seelenmord‘ von allein auf Deutschland bezogen einigen hunderttausend Frauen zustimmen?“ (mehr)
Auch Prof. Gregor Thüsing vom Institut für Arbeitsrecht und Recht der Sozialen Sicherung der Universität Bonn sprach von der „gesteigerten psychischen Belastung von Prostituierten“. Studien zeigten: „Prostituierte leiden vermehrt an psychischen Erkrankungen, die sich erst mit Aufnahme der Tätigkeit entwickeln.“ Und Heike Rudat vom Bund Deutscher Kriminalbeamter forderte: „Eine umfassende Regelung des Prostitutionsgewerbes ist zwingend erforderlich. Da der Rotlichtbereich wegen seiner leicht zu erzielenden Gewinne immer wieder Anziehungspunkt für kriminelle Banden und die Organisierte Kriminalität ist.“ Und sie ergänzte: „Wenn ich zum Beispiel die Frauen auf dem Straßenstrich beobachte – die haben keine Wahl, Nein zu sagen. Sie müssen ihr Soll erbringen, sie müssen dementsprechend Freier bedienen. Sie haben nicht die Wahl.“
Es ist neu, dass KritikerInnen der Prostitution zur Anhörung geladen werden
Der Sozialrechtler Thüsing und die Kriminalbeamtin Rudat sowie die Gewerkschafterin Breymaier, der Gynäkologe Heide und der Psychotherapeut Besser waren fünf von elf ExpertInnen, die der Familienausschuss des Bundestages am Montag eingeladen hatte, um ein letztes Mal über das „Prostituiertenschutzgesetz“ zu diskutieren. Diese fünf sehen die Prostitution kritisch, sehr kritisch. Und das ist relativ neu: Dass KritikerInnen der Prostitution zu Anhörungen ins Parlament geladen werden. Bisher durften fast ausschließlich VertreterInnen der Pro-Prostitutions-Lobby – SexarbeiterInnen & FreundInnen – ihre Meinung beim Gesetzgeber kundtun. Die von EMMA im Herbst 2013 angestoßene Kampagne gegen die Verharmlosung und Akzeptanz der Prostitution trägt nun Früchte. Bei diesem Hearing war die Hälfte der ExpertInnen kritisch, das heißt realistisch.
Doch warum nun nach zweieinhalb Jahren zäher Verhandlungen noch eine Anhörung? Weil das neue Prostitutionsgesetz Anfang Juli 2016 verabschiedet werden soll. Dieses Gesetz hatte ursprünglich zum Ziel, die katastrophalen Folgen der rot-grünen Prostitutions-Reform von 2002 – die Deutschland zum Einreiseland für Sextouristen und Paradies für Bordellbetreiber, Zuhälter und Menschenhändler gemacht hat – wenigstens ein wenig zu mildern.
Zwar hat die SPD in den vergangenen Monaten nahezu alles aus dem ursprünglich angemessenen Entwurf der CDU/CSU wieder herausverhandelt, was die Frauen tatsächlich hätte schützen können – und dafür hineinverhandelt, was den Händlern mit der Ware Frau nutzt. Aber ein paar Punkte scheinen noch offen zu sein und hoffentlich verhandelbar.
Menschenhändler in Osteuropa suchen ihren „Nachschub“ in Kinderheimen
Zum Beispiel die Frage nach einer Krankenversicherungspflicht für die Frauen, die trotz ihres „katastrophalen Gesundheitszustands“ (Gynäkologe Heide) nur zu einem verschwindend geringen Anteil krankenversichert sind. Oder die Frage, ob der im Gesetzentwurf vorgesehene Mutterschutz von sechs Wochen für Frauen in der Prostitution nicht viel früher einsetzen bzw. die Prostitution von Schwangeren ganz untersagt werden müsste. Denn die auch für das Kind zu erwartenden Schäden sind enorm. Und schließlich die Frage, ob geistig zurückgebliebenen Frauen eine „Prostitutionstätigkeit“ durch die Behörden nicht ganz untersagt werden müsste – denn sie sind doppelt hilflose Opfer für Zuhälter und Freier.
Es mag erstaunlich scheinen, dass man in einem zivilisierten Land über solche Fragen überhaupt debattieren muss. Doch es gibt zum Beispiel, wie bekannt und auch von Gynäkologe Heide dargelegt, einen speziellen „Markt“ für Sex mit schwangeren Prostituierten. Diese Frauen werden gezwungen, auch eine ungewünschte Schwangerschaft auszutragen, um diesen Markt zu bedienen. Die Neugeborenen müssen die Frauen dann zur Adoption freigeben. Gleich danach werden sie wieder gezielt geschwängert. Denn wir befinden uns im „Prostitutionsland Deutschland“, in dem solche unmenschlichen Verhältnisse tatsächlich möglich sind.
Es ist auch möglich, dass die SPD in allen bisherigen Verhandlungen schlankweg abgelehnt hat, dass Behörden einem Menschen die Anmeldung zum „Gewerbe“ verweigern, wenn dieser Mensch offensichtlich „nicht die Einsichtsfähigkeit hat“, die Folgen der Prostitutionsausübung überhaupt zu erfassen, also geistig behindert ist. Und das, obwohl u.a. schon lange bekannt ist, dass zum Beispiel Menschenhändler in Osteuropa ihren Nachschub gezielt in Kinderheimen bei psychisch geschädigten Jugendlichen rekrutieren.
Die Pro-Prostitu-
tions-Lobby möchte die Anmeldepflicht ganz kippen
Da verwunderte es auch nicht weiter, dass andere „ExpertInnen“ in dieser Runde versuchten, gleich die gesamte Anmeldepflicht für Prostituierte wieder zu kippen. Darunter Johanna Thie von der Evangelischen Diakonie Deutschland (!), Maria Wersig vom Deutschen Juristinnenbund und Claudia Zimmermann-Schwartz vom grün geführten nordrhein-westfälischen „Ministerium für Gesundheit, Emanzipation und Pflege“, geleitet von Ministerin Barbara Steffens. Dank der Politik von Zimmermann-Schwartz gilt NRW inzwischen als das Eldorado im Prostitutionsparadies Deutschland. Die Sorge der Ministerialdirigentin und Leiterin der Abteilung „Emanzipation“ im NRW-Ministerium, galt wie gewohnt auch in der Berliner Anhörung den Bordellbetreibern, für die sie „Rechtssicherheit“ wünschte.
Alle drei Pro-Prostitutions-Expertinnen forderten, gemeinsam mit der Lobbyistin Anja Kasten vom „Berufsverband erotische und sexuelle Dienstleistungen“, die von der Koalition schon geplante Anmeldepflicht wieder fallenzulassen. Schon daran wird deutlich, wie hinderlich diese Anmeldepflicht für das Verschieben und Vermarkten der Ware Frau wäre – und wie hilfreich sie wäre zur Sichtbarmachung der Hunderttausende anonymer Mädchen und Frauen im Prostitutionsdschungel.
In dieser Woche werden Christdemokraten und Sozialdemokraten also ein letztes Mal verhandeln. Viel wird nicht dabei rauskommen, aber vielleicht doch noch ein wenig. Der Traumatherapeut Lutz Besser warnte die Abgeordneten vor der deutschen Tendenz, „weit über 1945 hinaus“ wegzusehen bei der Verachtung von Menschen. Es ist zu hoffen, dass die VolksvertreterInnen die Worte des Traumatherapeuten beherzigen: „Wacht auf, liebe abgeordnete Volksvertreter aller Parteien! Macht euch nicht länger zu naiven und gutgläubigen Handlangern der Lobbyisten und Lobbyistinnen, denen es auf dem Rücken derer, die ihren Körper verkaufen (meist müssen), rücksichtslos nur um erhebliche Profite geht!“
Chantal Louis
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